Nach dem abendlichen Auftakt der Tagung »ICH, WIR & DIE ANDEREN« ging es am gestrigen Freitag mit vollem Elan an die digitale Sache. Das wuchernde Beet des Web-2.0 sollte auf seine »demokratischen und ökonomischen Potenziale« abgeklopft werden. Zu diesem Zwecke ließ sich das interessierte Publikum etwa 11 Stunden in den finsteren tageslichtlosen Kubus des ZKM sperren, in dem es sonst lustig blinkende und leuchtende Kunstwerke zu bestaunen gibt. Dieses Mal wurde aber den in vier Themenblöcken zu je drei Vorträgen organisierten Vortragsblöcken gelauscht, die in Sachen Anspruch und Niveau eine Achterbahnfahrt boten.
Zum Auftakt gab es in einem verdunkelten Würfel des ZKM eine Abendveranstaltung mit vier Einführungsreden und Diskussion. Über die Eröffnungsrede des Karlsruher Kulturbürgermeisters Ullrich Eidenmüller wollen wir den gnädigen Mantel des Schweigens wehen lassen. Danach übernahm Helga Kirchner vom WDR (deren Vorstellung der peinliche Herr Eidenmüller vergaß, was wohl seine einzige richtige Aufgabe gewesen wäre), die Moderation des Abends. Im Folgenden folgen die Kerngedanken der Akteure, nach meinen im Halbdunkel getätigten Notizen, evtl. sachliche Fehler und fehlerhafte Zitate sind natürlich allein meine Schuld.
Für den verhinderten TV-Philosophen und HfG-Rektor Peter Sloterdijk sprang sein Stellvertreter Uwe Hochmuth ein und fuhr gleich die ganz große Theorie auf, indem er die Grundzüge des Habermasschen »Herrschaftsfreien Diskurs« ausführte. Und das so ausgiebig, das er, von Frau Kirchner zum Blick auf die Uhr ermahnt, den Rest seines Vortrags von Hektik getrieben erledigen musste. Der Kern von Hochmuths Ausführungen war die These, dass, wenn wir das »Web Zwei« als im Rahmen eines konstatierten »Strukturwandels der Öffentlichkeit« sich herausbildenden neuen Raum zur gesellschaftlichen Debatte verstehen, dieser Raum frei von strategischen, politischen und kommerziellen Interessen sein muss. Denn sonst hat das »Ergebnis« dieses Diskurses, dass nach Habermas’ Theorie als Konsens von den Teilnehmern akzeptiert und in gesellschaftliches Handeln übernommen werden soll, aus naheliegenden Gründen keinen Geltungsanspruch. Hochmuth warnte in diesem Zusammenhang vor einer »Besoffenheit an der Technik«, denn die Technik stellt nur den Raum zur Verfügung, nicht den Gegenstand, und: »Kompetenz kann nicht durch Technik ersetzt werden.« Eben.
Als nächster ging Andy Müller-Maguhn, ex-Sprecher des CCC und passionierter Verschwörungstheoretiker, ans Mikro. Sein Vortrag stellte einige Eigenschaften des Web-2.0 vor. So stehe selbiges theoretisch für eine Plattform der Selbstdarstellung des agierenden Individuums, eine »soziale Vernetzung«, eine »interessenskompatible Verlinkung« und den Austausch unter den Teilnehmern. Praktisch sei das Web-2.0 aber mehr eine Geschäftsidee, die aus dem Verkauf eingesammelter, vom Benutzer freiwillig eingestellter Daten basiert. Klassisches Beispiel dafür: StudiVZ. Danach ging Müller-Maguhn auf das Verhältnis von »Individuum und Gruppe« im Web-2.0 ein, anhand seiner berühmt-berüchtigten Tron-Fehde mit Wikipedia. Das Web-2.0 fördere, wie die Tron-Sache zeige, eben keinen »herrschaftsfreien Diskurs«, sondern im Gegenteil die »Bildung eines Mobs« von Leuten, deren Interesse Dingen wie ihrem Einfluss und ihrer Machtposition gelte, aber nicht der Sache. Da der Einzelne im Web-2.0, wg. der »ungleichen Realitätsbeherrschungskompetenz«, vielleicht gar nicht einschätzen kann, ob ein Diskurs nun einer Sache diene oder einem anderen Interesse, müssten von äußeren Interessen freie und geschützte »Schutzräume« im Internet entstehen.
Mercedes Bunz, danach an der Reihe, überraschte zu Beginn mit einer Einführung in »Web 2.0« in kindgerechter Sprache. Danach kam sie in einem, leider etwas uninspiriert vom Blatt abgelesenen Vortrag, zu ihrem eigentlichen Anliegen: »Rettet das Internet«, forderte sie. Unsere Regierenden sehen das Internet nur als Gefahr, sie »haben keinen Plan dafür, sondern nur Angst davor«. Dabei wäre ein Plan dringend nötig, denn aus der deutschen Internet-Ökonomie kommt nichts außer Nachbauten amerikanischer Erfolgsgeschichten. In den USA dagegen sei das Internet schon in den 90ern staatlich gefördert worden. In Deutschland aber würde, wg. Marx, Technik als »böses Produktionsmittel« angesehen. Damit müsse Schluss sein, wir brauchen einen »neuen Marxismus«, der sich die Technik aneignet, die Bedeutung des Internets als öffentlichen Raum erkennt, diesen zugänglich macht und das Agieren und Arbeiten in diesem Raum ermöglicht.
Geert Lovink begann anschließend seinen Vortrag mit der schon berühmten Kartendarstellung der Internet-Communities. Und noch viel mehr Statistiken und Grafiken, die seinem Vortrag zu Beginn gewisse Längen verleihen. Diese sollen eines belegen: Das Web ist nicht nur »sekundäre Öffentlichkeit«, wie uns die alten Medien, um ihre Rolle als Filter und »primäre Öffentlichkeit« fürchtend, weismachen wollen. Durch die »Massifizierung« des Webs ist es als öffentlicher Raum für »Gesellschaft« relevant geworden. Darum darf sich eine moderne Netzkritik nicht in eine »Oase des negativen Denkens« zurück ziehen, sondern muss diese Realität anerkennen und den Raum aktiv gestalten. Damit solle man gleich anfangen und das große »Tabu« ansprechen: Die Rolle von Google in der Netzwelt. Google, in seiner selbstgewählten Rolle als Archivar der Daten der Menschheit, stellt das digitale Archiv zur Verfügung. Das war aber eigentlich immer eine originäre Aufgabe des Staates und anderer öffentlicher Organisationen. Darum müsse dem Einhalt geboten werden und Google von einer Firma in eine öffentliche Organisation im Rahmen der UNO überführt werden: »Enteignet Google!«
Das war ein Knalleffekt zum Abschluss! Es gab dann noch eine Podiumsdiskussion unter sanfter Publikumsbeteiligung. Von denen, aus dem Publikum, waren aber zwei Beiträge so peinlich (Fremdschämen-Alarm! ;-)), dass die Riege auf dem Podium darauf nicht weiter einging. Andy Müller-Maguhn brillierte mit seiner Einschätzung der politischen Klasse der BRD als »alte Säcke«, von denen man nichts mehr erwarten könne, während Uwe Hochmuth eine differenziertere Betrachtung einforderte. Und sich mit Mercedes Bunz über deren eigentümliche Nutzung des Begriffs »Marxismus« stritt. Dabei wirkte Frau Bunz aber souveräner, klarer Punktsieg für sie.