Stöckcheneinschlag
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Eigentlich bin ich ja ziemlich raus aus den szenetypischen Weblog-Ritualen wie »Stöckchen-Werfen«. Andererseits ist es natürlich eine große Ehre, wenn Markus mir auf seiner Morgenlandfahrt ein Bücher-Stöckchen an den Kopf wirft. Also folgen wir geschwind den Anweisungen, die da lauten:
- Nimm das nächste Buch in deiner Nähe mit mindestens 123 Seiten.
- Schlage es auf Seite 123 auf.
- Suche den fünften Satz auf der Seite.
- Poste die nächsten drei Sätze.
Fachbuch lassen wir weg, zählt nicht, ist Arbeitsmaterial wie das Notebooknetzteil. Aber hier gibt es ja auch richtige Bücher. Blättern und rascheln, ich zitiere:
»Bin nach anhaltender und heftiger Trinkerei schwer verkatert, aber ich erinnere mich an ein Tonband, von mir und dem großen Bärtigen, der vor zwei Ehefrauen ausgerissen ist, seinen Namen geändert hat und sich jetzt von einer Frau aushalten läßt. Er hat Kinder irgendwo zurückgelassen, sowohl poetische als auch tatsächliche. Und lebt jetzt unter falschem Namen.« (Charles Bukowski, Schreie vom Balkon. Briefe 1958 – 1994. Hamburg 2005. Seite 123.)
Charles Bukowski, der Poet des amerikanischen Albtraums, begleitet mich schon seit der Phase der »Adoleszenz«. Gerade in diesen Zeiten, wo die Buchhandlungen und Blogs voll von Empfehlungen für erschreckend banale esoterisch angehauchte brüllend positive »Hach, diese Zeiten sind toll! Wandel Wandel Wandel trullala! Und Du bist auch so toll, ey, tschaka!«-Bücher sind, ist der 1994 verstorbene Bukowski, der es wie kein anderer verstand, die schmutzige, abgründige, ehrliche und emotionale Seite menschlicher Existenz zu formulieren, aktuell wie eh und je.
»Schreie vom Balkon« enthält Briefe von Bukowski an alle möglichen Leute und erzählt die Geschichte seines Lebens von ganz unten nach ziemlich weit oben in schnörkellosen und lakonischen Worten, wie immer kongenial übersetzt von Carl Weissner.
Bukowski hat einiges an Material hinterlassen, darum erscheinen noch stets frische Texte von ihm. Bei Zweitausendeins ist eine CD mit einer Bukowski-Lesung in Hamburg aus dem Jahre 1978 und der Gedichtband »Letzte Meldungen« erschienen. Natürlich ebenso lesenswert wie die »Schreie vom Balkon«.
Und nun? Wer das Stöckchen mag und noch nicht hatte, mag es nehmen und bearbeiten. »Das Schreiben muss man kommen lassen.« Schrieb Buk (S. 283), und der wusste, wovon er sprach.