Artikel zum Thema »gerhartbaum«

Online-Durchsuchungen. Schutz durch und vor dem Staat unter Wahrung der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit?

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Unter diesem Titel veranstaltete das Zentrum für angewandte Rechtswissenschaft der Uni Karlsruhe eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion zum Thema »Online-Durchsuchungen«.

Gerhart Baum, einst Bundesinnenminister und heute einer der Beschwerdeführer gegen die Online-Durchsuchung in NRW, erhielt als Erster das Wort und beklagte zunächst einmal die in der deutschen Politik grassierende Unsitte, genuin politische Entscheidungen der Legislative an das Bundesverfassungsgericht »auszulagern«. In dieses Klagelied kann man getrost einstimmen, es sei nur an die groteske Aktion einiger SPD-Abgeordneten bei der Abstimmung zur Vorratsdatenspeicherung erinnert. Baum lehnt die Online-Durchsuchung als nicht zu rechtfertigenden Eingriff in den geschützten Kernbereich privater Lebensführung und in die Grundrechte (jene in den Artikeln 1,2 und 13 des GG) ab, und fragt: »Ist der Freiheitsverlust zu rechtfertigen durch den Sicherheitsgewinn?« Da die Online-Durchsuchung in Baums Augen ein untaugliches Mittel zur Erlangung von mehr Sicherheit ist, wäre sie auch abzulehnen, wenn man alle verfassungsrechtlichen Bedenken beiseite schieben würde.

Auf Baum antwortete Jörg Ziercke, Präsident des BKA und in der öffentlichen Debatte rund um neue Sicherheitsgesetze als Befürworter (nicht nur) der Online-Durchsuchung bekannt. Es gelte, die »Verhältnismäßigkeit« neu zu definieren. Nach Zierckes Angaben wurden 7 Terroranschläge verhindert und laufen derzeit 232 Ermittlungsverfahren mit so genanntem »islamistisch-terroristischem Hintergrund«. Da (Zitat) »technische Innovationssprünge die Natur des Verbrechens im 21. Jahrhundert« prägen würden, müsse Waffengleichheit zwischen Tätern und Ermittlern geschaffen werden. Durch verschlüsselte und anonymisierte elektronische Kommunikation gäbe es »überwachungsfreie Räume«. Schon jetzt würden Ermittlungsmassnahmen wie die Beschlagnahmung von Rechnern in den »Kernbereich« eingreifen. Darum könne man auch per Online-Durchsuchung eingreifen, denn: »In einem Rechtsstaat darf es für Schwerstkriminelle keine verfolgungsfreien Räume geben.«

Wolfgang von Pommer Esche, Referatsleiter beim Bundesdatenschutzbeauftragten, bekräftigte die Ablehnung der Online-Durchsuchung durch die Datenschutzbeauftragten. Heutzutage habe jeder Bürger einen PC, dessen Daten die privatesten Dinge enthielten. von Pommer Esche bezweifelte, dass es eine Bedrohung gäbe, die den heimlichen Zugriff von Behörden darauf rechtfertigen würde. Außerdem haben einmal eingeführte Verfahren die Tendenz, sich vom Ausnahmeverfahren bei großer Bedrohung zu einem Routinewerkzeug der Strafprozessordnung zu wandeln. Und ob die Onlinedurchsuchung überhaupt das geeignete Mittel sei, bezweifelte von Pommer Esche.

Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof, überraschte mit einem höchst merkwürdigen Beitrag. So unterschied er zwischen Online-Durchsuchung und Online-Überwachung. Da erstere nur eine »Momentaufnahme« sei, unterscheide sie sich, abgesehen davon, dass sie heimlich durchgeführt würde, nicht von der »normalen« Beschlagnahmung eines Rechners in der Wohnung eines Verdächtigen. Im Gegenteil, die Online-Durchsuchung könne den Verdächtigen ja auch entlasten und ihm damit die Unbillen einer aufmarschierenden Polizei zur Beschlagnahmung seines Rechners ersparen. Und da eine Online-Durchsuchung so aufwändig ist, würde es eh nicht viele geben…

Hansjörg Geiger, ehemaliger Verfassungsschutzpräsident und Professor, schlug vor, einen »Bürgeranwalt« bei den Behörden zu installieren. Dieser solle automatisch hinzugezogen werden, wenn eine heimliche Online-Durchsuchung angeordnet wird, denn im Gegensatz zu einer »normalen« Massnahme könne der Beschuldigte in diesem Fall keinen Anwalt hinzuziehen.

Den Abschluss der Runde bildete Dirk Fox von Secorvo, der die beliebte Rolle des »technischen Experten« einnehmen durfte. Fox sieht die Notwendigkeit zu neuen Methoden, welche durch die technischen Möglichkeiten notwendig würden. Diese wären aber nur als Online-Überwachung sinnvoll, nicht als Online-Durchsuchung. Die praktische Ausführung wird mit hohen Kosten verbunden sein, eine präzise Anwendung sei technisch unmöglich, sprich: Es werden Unschuldige betroffen sein. Und die Wirkung der Online-Durchsuchung sei stark begrenzt. Der Beschuldigte brauche ja schließlich nur von einer Live-CD zu booten, um die Anwendung von im System versteckten Überwachungsprogrammen aufzuheben.

Es folgte die Diskussion, die sich vorwiegend zwischen Baum und Ziercke abspielte. Baum sah eine Gefahr in der Weiterentwicklung der Technik. Auch wenn die Online-Durchsuchung heute noch technisch unvollkommen sei, so entwickle sie sich weiter und würde einen vielfach behaupteten »Grundrechtsschutz durch technische Schwierigkeiten« aushebeln. Auch sieht Baum ein Kippen der zustimmenden Meinung in der Bevölkerung, viele sähen mehr und mehr ein »großes Gemälde der Überwachungsaktivitäten« entstehen und fühlten sich unfrei. Ziercke antwortete mit einem wahren Horrorgemälde der terrorischen Bedrohung, der wir angeblich ausgesetzt sei. Man müsse diese Aktivitäten im Vorfeld verhindern können, dazu sei die Online-Durchsuchung unabdingbar. So geht es hin und her, Fox darf noch einmal als »technischer Experte« auf technische Schwierigkeiten hinweisen. Als das Publikum hinzugezogen wird, zeichnet Ziercke ein düsteres Bild der Gefährdung durch das böse böse Internet. Kinderporno, Gewalt, Bot-Netze, Terroristen – das Internet ist voller böser Dinge, gegen die der Staat sich wehren müsse.

Der Diskussionsleiter, Professor Dreier von der Uni Karlsruhe, versuchte abschließend ein Fazit:

  • Die Strafverfolgungsbehörden sehen sich technologisch benachteiligt.
  • Die Verfassung verbietet eine Online-Durchsuchung nicht generell, aber man muss definieren, wie das Individuum geschützt werden kann.
  • Die Online-Durchsuchung kann nur die »ultima ratio« sein.
  • Es müssen neue Mechanismen für die neuen Methoden entwickelt werden, wie z.B. den »Bürgeranwalt«. Und die neuen Gesetze müssen evaluiert werden.

Mein Fazit: Die Argumente der Gegner, Gerhart Baum und des Technikers Dirk Fox, kamen klar und präzise rüber. BKA-Chef Jörg Ziercke, als Befürworter, griff, wann immer er argumentativ in die Ecke gedrängt wurde, zu nicht nachprüfbaren apokalyptischen Bedrohungsszenarien. Überzeugen konnte das nicht. Und seine (nicht nur bei dieser Veranstaltung) undifferenzierten Verteufelungen des Internets lassen Zweifel daran aufkommen, ob Ziercke wirklich genau weiß, worüber er eigentlich redet. Man kann nur hoffen, dass dieses obskure Gebilde Online-Durchsuchung durch das Verfassungsgericht-Urteil im kommenden Jahr zunächst einmal von der Agenda gekegelt wird.